Vokalausgleich

Oft hört man im Zusammenhang mit Gesang – gerade im klassischen Gesang und in Chören – den Begriff “Vokalausgleich”. Doch was ist damit eigentlich gemeint?

Was bedeutet Vokalausgleich?

Alle Vokale haben spezifische Eigenschaften und unterscheiden sich in Klang und Mundform zunächst voneinander.

Viele Sänger kennen z.B. die Situation, dass die Stimme auf “o” schön rund klingt, aber wenn man einen höheren Ton auf dem Vokal “i” singen möchte, wird es schnell eng im Hals und schrill im Stimmklang.

Vokalausgleich bedeutet kurz gesagt, dass man “auf allen Vokalen gleich schön oder gut singen kann“.

Im klassischen Gesang möchte man dabei einen stärkeren Vokalausgleich, als in populären Gesangsstilen. In der Klassik ist der Tonumfang, der gesungen wird, sehr groß und gerade für den Gesang von hohen Tönen, wie es z.B. in der Oper praktiziert wird, ist ein Vokalausgleich unbedingt notwendig. In der Klassik strebt man außerdem das Ideal an, dass alle Töne gleich und gleichmäßig klingen – wie die Perlen auf einer Perlenkette. Zudem wird ohne Mikrophon gesungen und es braucht die Obertöne und Formanten, damit der Klang über eine Orchester tragen kann und auch große Säle füllt.

In den meisten anderen und populären Gesangsrichtungen nutzt man ein Mikrophon und oft ist auch die Individualität einer Stimme ein wichtiges Kriterium. Hier kann es sein, dass der Vokalausgleich nur insofern stattfindet, dass alle Töne mit entspanntem Hals singbar sind. Gerade, wenn die Textverständlichkeit im Vordergrund steht, kann ein zu starker Vokalausgleich auch störend und unnatürlich wirken. Es gilt auch hier – wie immer – das richtige Maß für den Stil zu finden.

Das Thema Vokalausgleich ist teilweise wahrscheinlich im Selbststudium schwer zu verstehen. Meiner Meinung braucht es einen guten Lehrer, um die Feinheiten in der Abstimmung zu entdecken und zu trainieren. Mit diesem Artikel möchte ich aber dem interessierten Sänger grundsätzlich erklären, was es mit dem Vokalausgleich überhaupt auf sich hat und erste Schritte zeigen, wie man ein Angleichen der Vokale üben kann.

Eigenschaften der Vokale

Ganz allgemein kann man die Vokale in helle und dunkle Vokale unterteilen:

  • “u” und “o” bezeichnet man als dunkle Vokale
  • “i” und “e” sind helle Vokale
  • “a” ist ein neutraler Vokal und kann sowohl hell als auch dunkel klingen

Vokaldreieck

Um die Vokale im Verhältnis zueinander darzustellen, bietet sich das sogenannte Vokaldreieck an:

(“ö” und “ä” sind aus Gründen der Übersichtlichkeit in der Darstellung weggelassen. “ö” liegt zwischen o und e, “ä” liegt zwischen “a” und “e”.)

Sieht man sich das Vokaldreieck genauer an, bemerkt man, dass die dunklen Vokale “u” und “o” auf dem linken Schenkel des Dreieck nach oben zum “a” führen. Bildet man die Vokale u-o-a hintereinander, dann kann man eine Kieferbewegung spüren: Der Mund öffnet sich vom “u” übers “o” zum “a”.

Vom “a” aus oben in der Mitte an der Spitze des Dreiecks kann man den rechten Schenkel des Dreiecks wieder nach unten wandern, wo sich die hellen Vokale befinden. Bildet man so die Vokale a-e-i hintereinander, dann spürt man (im Idealfall 😉 ) eine Zungenbewegung.
Im Idealfall? – Bei vielen Menschen findet keine oder nur eine geringe Zungenbewegung statt, sondern “e” und vor allem “i” werden über eine Kieferbewegung gebildet. Und hier haben wir direkt eine erste Schwierigkeit im Vokalausgleich bzw. beim Singen von “i”. Wird das “i” über eine Kieferbewegung gebildet, bedeutet das normalerweise, dass der Mund auf dem Weg von “a” nach “i” stark geschlossen wird. Oft gehen auch die Mundwinkel in die Breite zu einem “Lächeln”. Das führt zu einem helleren und oft schrillerem Klang. Gleichzeitig entsteht Druck im Hals, der Kehlkopf steigt nach oben. Es ist also wichtig, das “i” über eine Zungenbewegung zu bilden. Mehr dazu später.

Um sich dem “i” auf einem anderen Weg zu nähern, bietet sich der untere Rand des Dreiecks an: Von “u” über das ebenfalls runde “ü” lässt sich oft ein weicheres und entspannteres “i” bilden.

Besonderheiten der einzelnen Vokale

Ich möchte kurz auf die Eigenschaften der einzelnen Vokale eingehen und die Vorteile und Schwierigkeiten beim Singen erläutern:

Der Vokal “u”

Das “u” ist dunkler, runder Vokal. Bildet man ihn zu “ehrlich”, kann es im Hals eng werden und beim Singen ein leichtes Rauschen auf dem Klang erscheinen. Wir wünschen uns im klassischen Gesang daher ein etwas offeneres “u” als wir es vielleicht beim Sprechen bilden würden. Dieses leicht offene “u” ist ein Vokal, der Kopfstimme und Randschwingung fördert bzw. zu beidem den Zugang erleichtert. Es lässt sich ein schönes Piano mit “u” erzeugen oder trainieren. Der Klang ist manchmal leicht luftig, klingt oft durch den höheren Kopfstimmanteil etwas zarter. “u” ist ein regenerierender Vokal: Leise mit viel Randschwingung gesungen kann er auch eingesetzt werden, um eine z.B. durch Erklärung/Heiserkeit leicht strapazierte Stimme wieder etwas geschmeidiger werden zu lassen. (Grundsätzlich sollte eine angegriffene Stimme aber geschont werden!)
Bei “u” senkt sich der Kehlkopf besonders tief ab. Mit tiefen Tönen auf “u” kann man sehr gut Entspannung im Hals/Kehlkopfbereich trainieren und damit auch gleich die Grundlage für höhere Töne legen.

Der Vokal “o”

“o” ist ein runder, dunkler Vokal, der von sehr vielen Sängern als sehr angenehm empfunden wird. Die Form, die beim Singen von “o” innen im Mund entsteht, kann man als “Grundform” für die anderen Vokale verwenden. Es fühlt sich möglicherweise an, als hätte man eine Kugel im Mund – das Mundesinnere ist “rund”. Auf “o” gesungene Töne sind oft sehr volltönend, warm im Klang. Die Verbindung der Stimme zum Körper fällt leichter als beim u, der Ton ist “erdiger”. Der Hals ist weit und entspannt.
Bei manchen Sängern neigen die dunkeln Vokale wie “o” dazu, “in den Hals zu rutschen”. Sie verlieren dann den Stimmsitz, werden luftig und oft unsauber.

Der Vokal “i”

“i” ist für viele Sänger der schwierigste Vokal. Oft wird der Hals sehr eng, es entsteht eine große Spannung, der Kehlkopf steigt und die Töne klingen hart und schrill. “i” ist ein Vokal, der viel Glanz und “Metall” in den Klang bringt. “i” bringt die Stimme nach vorne, verhilft oft zu gutem Stimmsitz. Auf “i” gesungene Töne sind oft relativ laut und durchdringend.
Für manche Sänger ist “i” gerade in der Höhe auch ein “Lieblingsvokal”: Durch die Wölbung der Zunge in Richtung Gaumen “stört die Zunge nicht hinten im Hals” und die Töne können leichter frei schwingen und klingen.

Der Vokal “e”

Die Hauptschwierigkeit beim “e” besteht darin, “das richtige e zu finden”. Zwischen a, ä und i gibt es durchaus viele verschiedene Möglichkeiten, ein “e” zu bilden. Ist es eher am “i” orientiert, klingt es heller, hat viel Vordersitz und neigt möglicherweise zu Enge im Hals. Ein Richtung “ä” tendierendes “e” fällt dagegen vielleicht in den Hals und es birgt die Gefahr von zu tiefer Intonation.

Der Vokal “a”

Und wenn das “e” schon viele Möglichkeiten hatte, dann sind wir beim “a” in der größten Vielfalt angekommen. “a” ist ein neutraler und diffuser Vokal. Während es für Anfänger oft der einfachste Vokal ist, weil man den Mund schön aufmachen kann und alle Töne zunächst besser funktionieren, wird es im Verlauf der Gesangsausbildung nicht selten der schwierigste Vokal. Das “a” kann entweder in Richtung hell oder dunkel gefärbt sein. Der Mund ist relativ weit offen und es gibt wenig Orientierung. Während bei u/o die Lippen/Kiefer und bei e/i die Zunge die Form vorgeben, sind beim “a” der Kiefer und Lippen geöffnet, die Zunge tendenziell entspannt im Unterkiefer und es fehlt an Form und “Widerstand”, um einen guten geformten kernigen Klang zu bilden.
Auf “a” gesungene Töne haben oft einen hohen Bruststimmanteil, der Klang kann bei einem sehr offenen “a” schnell hart werden, so dass die Worte mit Vokal “a” in einer Linie auffällig laut herausplatzen.

Wie trainiere ich einen Vokalausgleich?

Um die Vokale aneinander anzugleichen gilt es zunächst, herauszufinden, was bei welchem Vokal beim Singen besonders gut funktioniert. Dann schaut man, was bei welchem Vokal den Gesang stört. Anschließend versucht man, die hilfreichen Eigenschaften der Vokale so auf andere Vokale zu übertragen, dass die Schwierigkeiten geringer werden oder verschwinden.

Da alle Sänger eine unterschiedliche Anatomie besitzen, gibt es natürlich Unterschiede, was für welchen Sänger besonders gut passt oder wichtig ist.

Ich führe hier einige allgemeine Eigenschaften auf, die dann beim jeweiligen Sänger “passend ausbalanciert” werden müssen.

Vokale farbig anmalen

Für mich hat sich folgendes Bild für den Vokalausgleich bewährt:

Man könnte meinen, dass jeder Vokal beim Singen eine ganz eigene Form hat.
Ich stelle mir aber vor, dass jeder Vokal eine Kugel ist (passt für mich doppelt, weil ich im Mund ja auch eine Kugelform anstrebe 😉 ). Alle Vokale haben somit die gleiche Form!
Und die verschiedenen Vokale voneinander zu trennen/zu unterscheiden, male ich die Kugeln in verschiedenen Farben an.

Foto: pexels

Damit haben alle Vokale zunächst die gleiche Grundlage und erst mit dieser gemeinsamen Form entstehen über kleine Veränderungen die verschiedenen Vokalklänge.

Die Form finden

Für viele Sänger bietet sich wie schon oben gesagt ein “o” als Grundform an. Grundsätzlich kann man diese Form finden (und immer weiter optimieren), indem man auf Vokalen Vokalisen singt und dabei spürt und hört, was sich am angenehmsten anfühlt und am besten klingt.

Die Lippen sind z.B. beim “o” schön gerundet und auch ganz leicht “nach vorne gespitzt”. Das ist eine optimale Grundform für die Lippen.
Im inneren des Mundes entsteht über die “Kugel” ein weiter Raum, in dem sich der Klang entfalten kann.
Der Gaumen ist leicht angehoben – vergleichbar zum Beginn eines Gähnens.
Der Hals ist entspannt, der Kehlkopf leicht abgesenkt.

(Die Grundform wird sich je ach Gesangsstil etwas unterschiedlich darstellen. So wird z.B. in der Klassik der Kehlkopf stark abgesenkt, während er im Pop- oder Musical-Gesang weiter oben bleibt. Auch die Rundung der Lippen ist vor allem im klassischen Gesang ausgeprägt. In populären Stilen bleibt die Mundform etwas “natürlicher” und näher an der Lippenform des Sprechens.)

Die hilfreichen Eigenschaften anderer Vokale übernehmen

Am besten gleichen sich die Vokale aus, in dem man in Übungen mehrere Vokale in “Ketten” hintereinander singt. Bevor ich einige Anregungen dazu gebe, möchte ich aber noch kurz erklären, welche Eigenschaften z.B. wie kombiniert werden könnten:

  • Um eine “feinere Klangqualität” zu erreichen, z.B. für Piano und Messa di Voce, kann man versuchen, Eigenschaften des “u” zur Grundform hinzufügen. Die Form wird ein bisschen runder und vl. etwas schmaler etc…
  • Damit der Ton einen besseren Stimmsitz und mehr Glanz erhält, kann man sich das “i” zu Hilfe nehmen: Z.B. bewusst den Stimmsitz bei “i” spüren und dann beim Vokalwechsel das Gefühl zumindest anteilig behalten.
  • Damit das “i” runder im Klang und entspannter im Hals sein kann, ist es gut, sich sehr bewusst auf die Rundung von “o” oder auch “ü” zu konzentrieren, um ein “runderes i” zu singen.

Übungen zum Vokalausgleich

Mit folgenden Übungen kann man Vokalausgleich üben, auch, falls die Theorie noch nicht ganz verstanden sein sollte ;-).
Aufnahmen oder Videos folgen – dann versteht man die Übungen natürlich besser als nur mit Textbeschreibung ;-).

Halteton

Z.B. wählt man einen Halteton in einer bequemen, nicht zu hohen Lage. Dann werden auf dem Ton Vokale “ineinandergezogen” hintereinander gesungen
Je nachdem, ob “u” oder “i” der angenehmere bzw. “bessere” Vokal ist, startet man entweder mit u-o-a-e-i oder mit i-e-a-o-u. Fortgeschrittene Sänger können beide Folgen ohne Pause aneinanderhängen und z.B. mit “u” beginnen und wieder auf “u” enden.

Die Übung kann nach oben oder unten transponiert und in auf mehreren Tonlagen geübt werden.

Beliebige Vokalise

Man kann eine beliebige Vokalise (z.B. die ersten 5 Töne einer Tonleiter rauf und wieder runter) mit der oben genannten Vokalfolge singen.

weitere Übungen und Aufnahmen folgen…

Und weiter?

So, das waren ein paar Anregungen zum Thema Vokalausgleich.

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